Bericht vom Kongress Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden

Kongress der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative, Berlin, 15.-16. Juni 2018

von Malte Albrecht

Angesichts hoher Rüstungsausgaben, eines zunehmenden Waffenhandels und des Vormarsches neuer Milita¨rtechnologien hatte sich die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative (NatWiss) für ihren diesjährigen Kongress »Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden« vorgenommen, die Wissenschaft von heute einer Standortbestimmung zu unterziehen. Gefördert von der GEW und unterstützt durch BdWi, FIFF, IALANA, IPB, IPPNW, VDW und W&F1 diskutierten Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, welche Rolle der Wissenschaft bei der weltweiten Militarisierung zukommt. Eng damit gekoppelt ging es auch um konkrete Möglichkeiten, Verantwortung und Wissenschaft zusammen zu denken: Welche Verantwortung tragen Wissenschaftler*innen und was kann jede(r) Einzelne zum Frieden beitragen?

Ausgangspunkt waren Überlegungen zur aktuellen Situation wissenschaftlichen Arbeitens. Die Wissenschaftler*innen sind konfrontiert mit unzureichenden Reformen an den Universitäten, dem Fehlen öffentlicher Gelder und der zunehmenden Drittmittelabha¨ngigkeit von Forschung und Lehre, was den Druck verstärkt, Projekte einzuwerben. Zentrales Ergebnis des Kongresses war im Abschlussplenum die Forderung nach Wiederbelebung und Erneuerung der Idee einer Zivilklausel. NatWiss e.V. wird daher für 2019 einen Kongress der Zivilklausel-Bewegung initiieren.

In ihrem Grußwort zu Beginn der Tagung betonte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe, Frieden, integrales Ziel der gewerkschaftlichen Bewegung und Geschichte, sei auch im Wissenschaftsbetrieb von großer Bedeutung. Tepe plädierte dafür, in der Wissenschaft die Arbeitsbedingungen an den Forschungseinrichtungen mit in den Blick zu nehmen. Es gebe bereits gute Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Wissenschaft. Das »Templiner Manifest« (2010) der GEW beispielsweise habe gezeigt, an welchen Stellen es dringenden Handlungsbedarf gebe. Tepe betonte darüber hinaus den Willen der GEW, weiterhin eine Zusammenarbeit zu fördern.

Dr. Alex Rosen, Kinderarzt und Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW, erinnerte an die verheerenden Folgen der Atombomben-Abwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Am Beispile des im Juli 2017 vereinbarten »Vertrags über das Verbot von Kernwaffen« (Ban Treaty) stellte Rosen einen Vertragsprozess innerhalb der Vereinten Nationen, unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft, als Möglichkeit vor, den Gefahren der nuklearen Aufrüstung in Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu begegnen.

Professor Lothar Brock (VDW) von der Goethe-Universität Frankfurt reflektierte die Wissenschaft als Teil organisierter Gewalt. Dabei ging er insbesondere auf das widersprüchliche Verhältnis von Wissenschaft und Krieg ein: Während Wissenschaft durch Forschungsaufträge und -mittel vom Krieg profitiert, wird sie durch Krieg gleichzeitig außer Kraft gesetzt. Krieg ist ohne Wissenschaft unmöglich, gleichzeitig steht die Wissenschaft aber auch für die Kritik des Krieges. Es sei demnach mitnichten so, dass Wissenschaft und Krieg sich historisch wechselseitig nur befördert hätten. In der Beziehung zwischen Wissenschaft und Krieg konstatierte Brock eine Entwicklung. So seien mit der Umorientierung von der Militärwissenschaft zur sicherheitspolitischen Forschung und der Dual-use-Problematik inzwischen alle Teile des Wissenschaftsbetriebs mit kriegsrelevanter Wissensproduktion konfrontiert. Dies gelte neben den technischen Entwicklungen ebenso für die Produktion legitimatorischen Wissens. Als Handlungsfelder identifizierte Brock zum einen wissenschaftsimmanente Mechanismen der Kontrolle und Reflexion. Dazu seien der Einsatz für mehr Transparenz sowie wissenschaftliche Überzeugungsarbeit im öffentlichen Raum geeignete Wege. Die Stärkung internationaler Kooperation im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer rechtlichen Grundlagen sowie die Beteiligung von Akteur*innen aus der Wissenschaft an der Entwicklung ziviler Konfliktbearbeitungsstrategien seien weitere Möglichkeiten der Einflussnahme. Dabei sei es wichtig, dass die zivile Konfliktbearbeitung nicht der Logik militärischer Sicherheitspolitik verhaftet bliebe. Politische Phänomene, wie die internationale Zusammenarbeit der Rüstungsindustrie, Klimawandel und damit verbunden die Konkurrenz menschlicher Interessen in einer globalisierten Welt, seien Herausforderungen auch für Wissenschaftler*innen. Brock plädierte daher dafür, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Wissenschaft das ist, was sie schon immer war: nicht nur eine Denkveranstaltung, sondern immer auch ein politischer Akteur.

Reiner Braun (NatWiss) wies auf die zahlreichen aktuellen Herausforderungen hin: die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, das Pariser Klimaabkommen und das Ziel, die Auswirkungen der Klimakatastrophe abzuwehren, sowie die Armut auch im eigenen Land, die breiter werdende Kluft zwischen Arm und Reich, die Furcht von Millionen vor dem Abrutschen in Armut. Zugleich seien die aktuellen Entwicklungen direkte Folgen politischer Prioritätensetzung auf nationaler und internationaler Ebene. Während Gemeinsinn vor Profit und die Interessen der 99 % gegen die der 1 % durchgesetzt werden sollten, sei die Realität im neoliberalen Kapitalismus von Konfrontation statt Kooperation, dem täglichen Töten als Gegenpol zum täglichen Ringen um Leben und Überleben, Rüstungsexporten und völkerrechtswidrigen Drohnen-Einsätzen geprägt. Diese konfrontative Politik berge die Gefahr eines Weltbrandes. Die Friedensbewegung sei ein schwacher, aber umso notwendiger Teil der Lösung der drängendsten Herausforderungen. Hier gebe es drei Handlungsfelder: Abrüstung, Schaffung eines internationalen Klimas der Kooperation statt Konfrontation sowie ein mutiges und kontinuierliches Engagement für den Frieden.

Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) sprach über den Stand der Militärforschung in Deutschland. Dabei machte sie deutlich, dass aktuelle militärische Entwicklungen und Aufrüstung ohne Zugriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschung nicht möglich sind. Als Beispiel nannte sie das neue Konzept der Bundesregierung zur Bundeswehr, insbesondere die Konzeption zur »Cybersicherheit«. Haydt betonte, Rüstungsforschung sei eigentlich kein Bestandteil öffentlicher Forschungsförderung des BMBF. Dennoch hätten sich die Ausgaben des BMBF für rüstungsbezogene Forschung zwischen 2010 und 2015 (sieben Millionen Euro pro Jahr) im Vergleich zu dem Jahr 2000 (vier Millionen Euro pro Jahr) fast verdoppelt. Diese Zahlen zeigen, so Haydt, dass die öffentlichen rüstungsbezogenen Forschungsgelder für die Universitäten keine wichtige Einkommensquelle darstellten, für das Militär jedoch den unverzichtbaren Zugriff auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse ermöglichen. Dies identifizierte Haydt als ein wichtiges Handlungsfeld. Trotz der Unzulänglichkeiten der Zivilklauseln plädierte Haydt für eine Weiterentwicklung dieses Instruments und die Herstellung von Öffentlichkeit.

Hartwig Hummel, Professor an der Universität Düsseldorf und bis vor Kurzem Vorstandsmitglied von W&F, griff das Thema der Verantwortung und der Zivilklauseln auf und plädierte für eine Weiterentwicklung des Wissenschaftsdiskurses. Im Vergleich zwischen Japan und Deutschland zeigte Hummel am Beispiel von fünf zentralen Argumentationslinien die Unterschiede auf, die das Wissenschaftsverständnis in Japan und Deutschland prägen. So gelte in Deutschland die Zivilklausel als unerwünschte Politisierung der Forschung, denn hier stehe die individuelle Verantwortung des*der Wissenschaftlerinnen im Fokus. In Japan hingegen gelte gerade die Ablehnung von Militärforschung als Ausdruck ethisch und gesellschaftlich verantwortlicher Wissenschaft. In der Frage der Wissenschaftsfreiheit stünden in Deutschland nach vorherrschender Überzeugung Zivilklauseln für einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Im japanischen Verständnis hingegen störe jede Investition in militärische Forschung die selbstbestimmte und freie Entfaltung der Wissenschaft. Militäreinsätze sowie die Forschung für militärische Zwecke gälten in Deutschland als legitim, in Japan hingegen verstehe sich die Wissenschaft als kosmopolitische Forschungsgemeinschaft, in der nationale Militärforschung keinen Platz habe. Dies zeige sich auch im Umgang mit der Dual-use-Frage. In Deutschland gälte die kritische Hinterfragung von Dual-use-Forschung als unpraktikabel, während in Japan Zivilklauseln von Kommissionen genutzt würden, um die negativen Auswirkungen militärisch nützlicher Forschung zu erkennen. Jegliche militärische Forschungsfinanzierung stehe unter Generalverdacht. Während in Deutschland die individuelle Forschungsverantwortung betont werde, seien in Japan die einzelnen Forscher*innen Teil einer Forschungsgemeinschaft. Die Institutionen dieser Gemeinschaft, wie Hochschulen und ihre Fachverbände, seien daher mindestens ebenso Träger einer kollektiven Verantwortung.

In der Podiumsdiskussion mit Professor Hartmut Graßl (VDW), Professor Werner Ruf (Friedensforscher) und Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker (Club of Rome) standen die Fragen nach Wissen, seiner Verbreitung und den Bedingungen der Wissensproduktion in Forschungseinrichtungen im Zentrum. Von Weizsäcker betonte die Bedeutung der Folgen wissenschaftlicher Forschung, die die Existenzbedingungen der Menschheit in Frage stellen. Künstliche Intelligenz, Geo-Engineering und CRISPR/Cas sowie Gene Drive seien Entwicklungen, über deren mögliche Folgen wenig bis gar keine öffentliche Diskussion stattfinde. Von Weizäcker plädierte daher für eine aktive Rolle von Wissenschaftler*innen und ihren Organisationen, wie NatWiss e.V., als Akteure, die zu einem kritischen Bewusstsein der Menschen beitragen könnten. Ihre Aufgabe sei es, das Wissen über ihre Forschung in eine breite, öffentliche Diskussion einzubringen. Dabei gehe es auch darum, den militärisch relevanten Charakter dieser Entwicklungen aufzuzeigen.

Werner Ruf stellte die Frage nach den gesellschaftlichen Produktionsbedingungen von Wissen. Neben der Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse an den Universitäten mit Zeitverträgen und geringer öffentlicher Finanzierung sei vor allem auch die zunehmende Rolle von Drittmitteln problematisch. So gelte inzwischen Drittmittelförderung als Nachweis von Wissenschaftlichkeit, was in der Formel münde: Auftragsforschung = Wissenschaftlichkeit. Im Mittelbau gebe es subtile Mechanismen, die dazu führen, dass unter Bedingungen existenzieller Nöte kaum mehr darüber reflektiert werde, welche Folgen die eigene Forschung habe. Im Bereich der Zivilgesellschaft lasse sich zudem eine zunehmende Militarisierung beobachten. Angesichts der Mitarbeit von 200 Nichtregierungsorganisationen am verteidigungspolitischen Weißbuch der Bundesregierung stelle sich die Frage, ob es sich um einen Demokratisierungsprozess oder nicht eher um einen Militarisierungsprozess handele. Ruf identifizierte daher die Verbesserung der materiellen Existenzbedingungen im Wissenschaftsbetrieb als ein zentrales Handlungsfeld für die Ermöglichung einer unabhängigen Wissensproduktion. Hier ergäben sich auch Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften.

Hartmut Graßl knüpfte an das Plädoyer von Weizsäckers an und berichtete von der Einrichtung einer Arbeitsgruppe in der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) zu den Folgen von Künstlicher Intelligenz (KI). Graßl verglich die Gefahren der KI mit der Bedrohung durch einen Atomkrieg. Diese Folgen seien nicht ausreichend präsent im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs. In Ergänzung zu den Beträgen von Weizsäckers und Rufs betonte Graßl, dass es viele Wissenschaftler*innen gäbe, die für das Militär arbeiten würden. In Erwiderung zu Hartwig Hummel stellte Graßl die Frage, weshalb eine solche Kultur in Japan möglich geworden sei. Die Schutzgarantien anderer Länder hätten eine Fokussierung auf eine friedliche Kultur ermöglicht. Auch Deutschland habe diese Schutzgarantien. Graßl plädierte als Vorsitzender der VDW für eine optimistischere Perspektive. Die Klima-Charta von Paris, 70 Jahre friedliches Zusammenleben und die EU als Friedensunion seien das Resultat einer vernünftigen Handlungsweise und gäben Anlass für Optimismus, aber auch für andauerndes Engagement mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens.

Ausgehend von einer kritischen Analyse der Faktoren, die zur Bedrohung durch Aufrüstung und Klimakonflikte führen, diskutierte Professor Jürgen Scheffran (NatWiss/VDW) Beiträge der Wissenschaft zum nachhaltigen Frieden. Zugrunde liegen Fragen nach der Verantwortung der Wissenschaft, wie wissenschaftliche Erkenntnisse die Gesellschaft beeinflussen und formen, wie Wissenschaft kommuniziert und angewendet wird und wie nachhaltige und friedensfördernde Wissenschaft beratend und aktiv in gesellschaftliche und politische Prozesse einfließen kann, als Teil einer „»neuen Aufklärung«. Hierfür gibt es historische Beispiele, vom Russell-Einstein-Manifest und der Göttinger Erklärung gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr über die Untersuchung nuklearer Risiken bis hin zu wissenschaftlichen Bemühungen um eine friedliche und nachhaltige Welt ohne nukleare Bedrohung. Hierzu gehören auch jüngste Forschungen zu den Sicherheitsrisiken des Klimawandels – von Wasser- und Landkonflikten über die Zerstörungen durch Wetterextreme bis hin zu globalen Vertreibungen und Fluchtbewegungen. Diese Risiken verdichten sich zusammen mit anderen globalen Problemen (Gewaltkonflikten und Terrorismus, Hunger und Armut, Wirtschaftskrise und Nationalismus) zu immer neuen Krisenherden. Im Zeitalter des Anthropozän stößt die forcierte kapitalistische Globalisierung zunehmend auf ökologische, ökonomische, soziale, politische und wissenschaftlich-technische Grenzen. Statt Zerstörungs- und Gewaltmittel weiter zu steigern, sollten Innovationen in Wissenschaft und Technik die Transformation in eine lebensfähige und lebenswerte Welt ermöglichen, die durch nachhaltige Entwicklung und kooperative Friedenssicherung im gemeinsamen Haus unseres Planeten gekennzeichnet ist. Alternativen gibt es genug, vom Atomwaffenverbotsvertrag und dem Pariser Klimaabkommen, die jeweils von einer Koalition von Staaten mit der Zivilgesellschaft herbeigeführt wurden, bis zum Umbau in eine erneuerbare Energieversorgung und eine kohlenstoffarme Gesellschaft, die Ökosysteme bewahrt, allen Menschen Wohlstand und ein friedliches Zusammenleben ermöglicht.

In einem Abschluss-Plenum, in dem auch die Ergebnisse der verschiedenen Workshops vorgestellt und diskutiert wurden, wurde die Forderung nach Erneuerung der Zivilklausel-Bewegung besonders deutlich. Ein Kongress zur Zivilklausel wurde in Zusammenarbeit mit den Partnern des Kongresses in die Planung von NatWiss e.V. aufgenommen und befindet sich in Vorbereitung für das Frühjahr 2019.

Anmerkung

1) BdWi = Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; GEW = Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft; FIFF= Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung; IALANA = IALANA Deutschland – Vereinigung für Friedensrecht; IPB = International Peace Bureau; IPPNW = International Physicians for the Prevention of Nuclear War; VDW = Vereinigung Deutscher Wissenschaftler; W&F = Wissenschaft und Frieden.

Erstveröffentlichung des Artikel in Wissenschaft & Frieden 2018-4: Kriegsführung 4.0