Friedenswinter 13.12. in Hamburg

Adaption des Wolfgang-Borchert-Gedichtes „Sag Nein!“ von Katrin McClean, vorgetragen in Hamburg.

Du, Mädchen im Callcenter, du, Frau im Büro,

wenn sie dir sagen, dass es eine große Leistung ist, Geld zu verbrennen, das andere mühsam erarbeitet haben,

sag NEIN

Du, Großstadt-Single,

wenn sie dir einreden, du bist nur attraktiv, wenn du Markenklamotten trägst, die in unwürdiger Sklavenarbei genäht wurden,

sag NEIN

Du, Mutter, du, Vater,

wenn sie euch heute erzählen, eure Kinder hätten nur eine Zukunft, wenn wir Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken lassen,

sag NEIN

Du, Fabrik-Arbeiter,

wenn sie dir heute befehlen, Bombenflugzeuge zu bauen, anstatt Passagiermaschinen,

sag NEIN

Du, Journalist,

wenn sie dir den Auftrag geben, Feindbilder zu verbreiten, anstatt Fragen zu stellen,

sag NEIN 

Du, junger Mann und du, junge Frau,

wenn man euch heute schon wieder erzählt, dass es heldenhaft ist, für eine gute Sache zu sterben,

sagt NEIN

Denn es ist noch nie eine gute Sache in die Welt gekommen,weil junge Menschen gestorben sind.

Du, Soldat, und du, Soldatin,

wenn man euch befiehlt, auf eure Feinde zu schießen, dann gibt es nur eins:

sagt NEIN 

Denn ihr habt keine Feinde! Und wenn ihr selbst erschossen werdet, dann nicht für eine gute Sache, sondern nur für die Machtinteressen einer grauenhaften Kaste von Egoisten, für die ihr nicht mehr seid als eine Fliege an der Wand.

Sagt NEIN

Denn wenn ihr nicht NEIN sagt, werden Hunger und Not ihren gefräßigen Feldzug über die Kontinente fortsetzen. Und selbst da, wo jetzt noch Frieden ist, wird vielleicht eines Tages die furchtbare Vision von Wolfgang Borchert Wirklichkeit:

Eine schlammgraue Stille wird heranwalzen, und in den lärmenden Hafenstädten werden die großen Schiffe verstummen und wie titanische Mammutkadaver gegen die vereinsamten Kaimauern schwanken. Die U-Bahnen werden wie sinnlose, glasäugige Käfige blöde verbeult neben den verwirrten Stahlskeletten der Gleise liegen.

Dann wird der letzte Mensch mit zerfetzten Gedärmen und verpesteter Lunge und einsam unter der giftig glühenden Sonne herumirren, einsam zwischen den unübersehbaren Massengräbern und den kalten Götzen der gigantischen betonklotzigen verödeten Städte, der letzte Mensch, dürr, wahnsinnig, klagend – und seine furchtbare Klage: WARUM?

wird ungehört in der Steppe verrinnen. Vielleicht könnte das eintreffen, morgen, morgen vielleicht, vielleicht heute nacht schon, vielleicht heute nacht,

wenn ihr nicht NEIN sagt