von Götz-Dietrich Opitz ©, 24. März 2020
Es sind ganz besondere Zeiten, das Virus hat uns fest im Griff. Die Corona-Krise ist das beherrschende Thema, der Staat greift hart durch. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnet die „einschneidenden Maßnahmen“, die sie am 16. März ankündigte, als etwas, „was wir bisher in über 70 Jahren Bundesrepublik nicht tun mussten, aber jetzt tun müssen“.
Im engen Schulterschluss mit der Wissenschaft werden sie und Bundes-gesundheitsminister Jens Spahn nicht müde, ihren Appell zum notwendigen Verzicht zu wiederholen. Man müsse verstehen, dass alle „auf ein Stück Alltag verzichten“ müssten. „Der Mann, auf den Merkel hört“, ist dieser Tage Christian Drosten, Leiter des Instituts für Virologie an der Charité Berlin. Nicht nur Politiker, „ganz Deutschland verlässt sich auf“ ihn, so beobachtet BILD.
Andere Virologen wie Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg stimmen ein: „Die Bevölkerung muss sich auf einen langen Zeitraum der Entbehrungen und des Kampfes einstellen.“ Die drastischsten Schlagwörter des staatlich angeordneten Verzichts sind „Katastrophenfall“, „Alarmzustand“, „Ausgangssperre“ – mit allen rechtstaatlich bedenklichen Konsequenzen. Der französische Präsident Emmanuel Macron stellt fest: „Wir sind im Krieg“.
Die deutsche Politik übt nicht nur mit der Medizin, sondern auch mit den führenden Wirtschaftswissenschaftlern Einigkeit, die die behördlichen Verbote für angemessen halten: „Besser ein temporärer ökonomischer Schock heute als noch höhere Kosten in der Zukunft“, weiß Jens Südekum von der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Und fordert mit seinen Kollegen angesichts der drohenden „Corona-Rezession“ (FAZ) mehr staatliche Hilfe.
Aber was ist eigentlich mit der anderen Krise, die noch in jüngster Vergangenheit für viele Schlagzeilen sorgte? Zu befürchten ist, dass die für den ganzen Planeten existentielle Klimakrise durch den aktuellen Ausnahmezustand in Vergessenheit gerät. So warnte bereits Dirk Messner, Chef des Umweltbundes-amts: Auf den „Corona-Krisenmodus“ könnte der nächste Krisenmodus folgen, wenn der Klimaschutz nicht massiv vorangetrieben werde – in Deutschland, Europa und der Welt. Und der Journalist Martin Bialecki befürchtet, dass nach einem Corona-bedingten Wirtschaftsabschwung das Thema Klima auf Jahre hinaus zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet werden könnte.
Wie lassen sich die beiden Krisen – Corona und Klima – miteinander vergleichen? Wo liegen die Unterschiede?
Der erste Unterschied ist sicherlich der unterschiedlich ausgeprägte Aktivismus, mit dem beide Krisen als Bedrohung wahrgenommen und bekämpft werden. In der Tat konnte man in Deutschland selbst seit dem Erscheinen einer Greta Thunberg auf der Weltbühne bislang keine Bundespressekonferenz erleben, auf der die Kanzlerin gemeinsam mit der Bundesumweltministerin Svenja Schulze öffentlich zu Verzicht und Solidarität aufgerufen hätte, um das Klima zu retten. Zu diesem Zweck wurde auf Bundesebene bisher auch kein „Krisenstab“ eingerichtet. Das Klimapaket der Bundesregierung vom vergangenen Herbst wurde vielfach als viel zu lasch bewertet. Greta kritisierte mit anderen Umweltaktivisten den „Green Deal“ der EU als „Kapitulation“.
Dabei ist die globale Öko-Krise – die nicht nur den Klimawandel, sondern auch das Artensterben und die Umweltzerstörung wie die Plastikverschmutzung der Erde umfasst – eine Bedrohung, die nicht nur für die Zukunft zu erwarten ist, sondern schon längst im Gange ist. So richte nach Schätzungen des 2019 veröffentlichten 6. Welt-Umweltberichts (GEO-6) des UN-Umweltprogramms Unep allein die Luftverschmutzung 2015 volkswirtschaftliche Schäden in Höhe von etwa 5 Billionen Dollar an. Damals starben weltweit etwa 9 Mio. Menschen vorzeitig durch Umweltverschmutzung. Seit dem ersten GEO 1997 habe sich „der Zustand der Umwelt weiterhin verschlechtert“, so der Bericht. Das Corona-Virus wird im schlimmsten Fall viele Opfer fordern – eine sich weiter entwickelnde Klimakatastrophe wird wahrscheinlich noch ganz andere Dimensionen von Opferzahlen bereithalten, wenn auch über einen längeren Zeitraum hinweg.
Die Letalität ist durchaus eine Gemeinsamkeit zwischen beiden Krisen, wenn auch die Raten unterschiedlich hoch sind. So kann man mit und frei nach Papst Franziskus feststellen, dass nicht nur „diese Wirtschaft tötet“, sondern auch das Virus und die Öko-Krise – letzterer werden darüber hinaus schätzungsweise eine von acht Mio. Arten zum Opfer fallen. Spahn möchte in der Corona-Krise die Situation vermeiden, dass man 80-jährigen Infizierten die Beatmungsgeräte wieder abnehmen muss, damit 60-Jährigen geholfen werden kann. In der Öko-Krise indes ist man schon lange dabei, den von ihr besonders betroffenen Menschen die Geräte abzunehmen.
Ein großer Unterschied zwischen beiden Krisen ist der aktuell bei Corona enge Schulterschluss zwischen Politik und Wissenschaft. Man muss der deutschen Politik nach einer von der Süddeutschen Zeitung durchgeführten Big-Data-Analyse von Bundestagsdebatten zum Thema Klima in den vergangenen Jahrzehnten „parlamentarisches Versagen“ attestieren. Und auch in jüngster Vergangenheit konnte man keine Krisensitzungen auf Bundesebene mit Hans Joachim Schellnhuber erleben, dem Gründer des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und langjährigen Mitglied des Weltklimarats, der bis 2016 als Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen auch Kanzlerin Merkel beriet.
Der BUND kommentierte auf seiner Internetseite die Information, dass der für den 13. März 2020 geplante globale Klimastreik von Fridays for Future wegen des Virus abgesagt werden musste, mit dem Hinweis, dass die Politik in der aktuellen Corona-Krise endlich auf die Wissenschaft höre – was sie auch in der Klimakrise tun solle.
Als weiterer Unterschied ist somit die unterschiedlich gelagerte Solidarität zwischen den Generationen zu konstatieren. Denn so hörten auch Greta und mit ihr Mio. von Schülern in Deutschland auf die öffentlichen Appelle der Politiker zum notwendigen Schutz älterer und gesundheitlich vorbelasteter Menschen ab 70, die anfälliger für das Virus sind. Sie fügten sich bereitwillig den Verboten, einschließlich der Schulschließungen – beschlossen in Bayern durch eine Regierungspartei, die in der Klimadebatte den politischen Gegner gerne als „Verbotspartei“ verunglimpft. Breiter Widerstand gegen diese Verbote von Jugendlichen ist bisher jedenfalls nicht zu beobachten.
Kann man im Vergleich der beiden Krisen schlussfolgern, dass sich die Politik mehr für die Belange der älteren Generation einsetzt als für die Interessen der Jungen? Feststeht, dass bei der Europa-Wahl 2019 von den etwa 60,8 Mio. wahlberechtigten Deutschen die Wählergruppe der 18-20-Jährigen nur 2,2 Mio. (3,6%) ausmachte. Die deutschen Wählerinnen und Wähler der über 60-Jährigen bildeten hingegen mit 22,3 Mio. (36,7%) die größte Bevölkerungsgruppe. Deren altersabhängige Wahlmacht, die 10 Mal größer ist, mag erklären, warum die Bundespolitik auf beide Krisen unterschiedlich stark reagiert.
Noch entscheidender ist aber ein weiterer Unterschied: Das Corona-Virus ist ein Feind, der von außen kommt! Auch wenn das Virus, der in China seinen Ausgang nahm, noch so unsichtbar und abstrakt ist, er ist nicht menschen-gemacht. Die Öko-Krise aber schon. Sie ist Ausdruck des Anthropozäns, in der die Menschenlast der Technosphäre mit etwa 30 Billionen Tonnen bereits mehr wiegt als Flora und Fauna in der Biosphäre zusammen: 50 Kilogramm pro Quadratmeter Erdoberfläche. Die vom Menschen emittierten Treibhausgase etc. sind das gefährlichere „Virus“ – die „Pandemie“ von acht Milliarden Menschen und vor allem die „Pandemie“ des sich stetig steigernden Konsums ist die größere Gefahr.
Das einzusehen und infolge dieser Selbsterkenntnis Verzicht zu üben, damit das Anthropo-zän nicht zum Anthropo-zid wird, fällt offenbar schwerer als in der akuten Corona-Krise. Vielleicht hilft es, beide Krisen zusammenzudenken. Forscher warnen seit langem vor dem „tödlichen Dutzend“ – gefährliche Krankheitskeime, die sich aufgrund des Klimawandels verstärkt ausbreiten können. Nochmals wies darauf Anfang Januar 2020 kein geringerer hin als Lothar H. Wieler, der durch die Corona-Krise einem breiten Fernsehpublikum bekannt gewordene Präsident des Robert-Koch-Instituts in Berlin. Er veröffentlichte mit Blick auf China einen Gastkommentar mit dem Titel „Klimawandel bringt auch neue Seuchen“ (DIE WELT, 10.01.2020)