33 Jahre Tschernobyl – 8 Jahre Fukushima

NatWiss hat die Anzeigenaktion „33 Jahre Tschernobyl – 8 Jahre Fukushima: Energiewende ohne Atom und Kohle“ der IPPNW (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges) unterstützt. Die Anzeige wurde am 11. März 2019 in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht. 2.134 Beteiligte haben mit ihrer Unterschrift und finanziellen Unterstützung die ganzseitige Anzeige ermöglicht.

Zum Vergrößern der Anzeige bitte auf das Bild klicken:

Göttinger Friedenspreis für die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“

Der Göttinger Friedenspreis wurde am Samstag, den 9.3.2019 in einer privaten Galerie in Göttingen an den Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ verliehen. Die Preisvergabe war im Vorfeld heftig kritisiert worden. Unter anderen hatten Josef Schuster (Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland) und Felix Klein (Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung) den Verein als antisemitisch kritisiert und dies mit einer Nähe zur BDS-Kampagne (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen) begründet.

Wegen der Vorwürfe zogen die Universität, die Stadt und die Sparkasse in Göttingen ihre Unterstützung für die Preisverleihung zurück. Die Preisverleihung konnte auch nicht wie gewohnt in der Universität stattfinden.

Andreas Zumach, der Vorsitzende der Jury des Göttinger Friedenspreises, äußerte sich ausführlich zu den Vorwürfen (https://www.juedische-stimme.de/2019/02/15/stellungnahme-des-vorsitzender-der-jury-zu-kritik-an-dem-preistraeger-die-juedische-stimme/) und bat in einer Email vom 14.02. um solidarische Stellungnahmen, die an den Oberbürgermeister Köhler, die UNI-Präsidentin Beisiegel, den Sparkassenvertreter sowie an die Vorstände der preisvergebenden Stiftung und des Kuratoriums, Hans-Jörg Röhl und Goetz Neuneck geschickt werden sollten.

Die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative verfasste darauf folgende Stellungnahme, die an die entsprechenden Personen geschickt wurde und wir hier dokumentieren:

NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“
Stellungnahme zur Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2019 an die „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“

Die Konferenz von Warschau zum Nahen und Mittleren Osten am 14./15. Februar 2019 hat noch einmal verdeutlicht, wie groß die Kriegsgefahren und Rüstungsanstrengungen in der Region sind. Für alle am Frieden interessierten und engagierten Menschen und Organisationen  ist es notwendig, eine Mitwirkung an Kriegsvorbereitungen, Menschenrechtsverletzungen und Okkupationen in der Nahost-Region zu kritisieren. Gerade deutsche Organisationen haben aufgrund der historischen Rolle Deutschlands in Weltkrieg und Holocaust eine besondere Verantwortung, immer wieder Kritik an Kriegen und Kriegsvorbereitungen zu üben.

Die „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden e.V.“ hat diese grundsätzliche Kritik seit Jahren engagiert, couragiert und in Übereinstimmung mit Friedenskräften in Israel geäußert. Die Verleihung des Göttinger Friedenspreises 2019 ist deshalb eine berechtigte Anerkennung und Auszeichnung der Jüdischen Stimme für ihren Beitrag zum Frieden in Nahost.

Immer wieder wird aktive Friedensarbeit in der Region mit dem Vorwurf des „Antisemitismus“ diskreditiert, selbst wenn es sich um jüdische Organisationen und ihre Unterstützer handelt. Dies  widerspricht einer offenen Debatte und beeinträchtigt das aktive Engagement für Menschenrechte und Frieden. Historische Ereignisse werden aus historischen Kontexten gerissen und zur Durchsetzung aktueller Interessen eingesetzt.

Eine gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber ist notwendig und wird auch in der jüdischen Gemeinschaft geführt. Während der Zentralrat der Juden in Deutschland dazu auffordert, sich von der Preisverleihung zu distanzieren und die Entscheidung zu revidieren, kritisieren mehr als 90 jüdische Intellektuelle in einem offenen Brief die Vorwürfe gegen die Jüdische Stimme und rufen die deutsche Zivilgesellschaft auf, die freie Meinungsäußerung jener zu gewährleisten, die sich gegen die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung wenden.

Der Vorsitzende der Jury des Göttinger Friedenspreises, Andreas Zumach setzt sich in einer Stellungnahme mit den Vorwürfen gegen die Preisverleihung an die Jüdische Stimme detailliert und sachlich auseinander. Wir halten diese Ausführungen für überzeugend und bitten den Oberbürgermeister und die Präsidentin der Universität, dem Druck gegen die Preisverleihung nicht nachzugeben. Wir sind überzeugt, dass damit den Zielen von Frieden, Versöhnung, Abrüstung und gemeinsamer Sicherheit nicht gedient ist. Zugleich unterstützen wir eine umfassende Debatte, die die gesellschaftlichen Wurzeln des Antisemitismus bekämpft und dafür sorgt, dass die zum deutschen Faschismus führenden Entwicklungen sich nie wiederholen.

Weitere Stimmen, Stellungnahmen sowie die Reden der Preisvergabe sind auf der Webseite des Vereins „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ dokumentiert: www.juedische-stimme.de

Sputnik: „Europa als Schlachtfeld im Atomkrieg“

Nach Aufkündigung des INF-Vertrags durch die USA und die Zustimmung der Nato-Länder warnt das russische Außenministerium in Moskau vor einer möglichen Konfrontation. Auch der Friedensnobelpreisträger „International Peace Bureau“ sowie andere Friedensinitiativen warnen vor einem Atomkrieg in Europa. […]

Reiner Braun, Co-Präsident des International Peace Bureau und stellv. Vorsitzender von NatWiss, im Interview mit Sputnik.

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Macht uns Russland nicht zum Feind – für eine Politik der Entspannung, der gemeinsamen Sicherheit und der Abrüstung

Die Politik gegenüber Russland war und ist immer umstritten – die deutsch-russischen Beziehungen sind ein Seismograf für den Friedensprozess in Europa.

Das Verhältnis von Russland und dem Westen ist geprägt durch eine lange und wechselvolle Geschichte. Die Lehren dürfen nicht vergessen werden und sind ein Wegweiser für Gegenwart und Zukunft. Für Russland kam aus dem Westen meist nichts Gutes, von Napoleon über Hitler bis zur nuklearen Hochrüstung im Kalten Krieg. Die 27 Millionen getötete Sowjetbürger des Zweiten Weltkrieges bleiben unvergessen. Nach Beendigung der Ost-West-Konfrontation und der Charta von Paris für eine friedlichen Ordnung in Europa wurden die Chancen auf eine echte Partnerschaft in einem „gemeinsamen Haus Europa“ vertan. Die Grundlagen dazu wurden untergraben durch Entwicklungen wie die NATO-Osterweiterung, die Stationierung der US-Raketenabwehr oder der Kosovo-Krieg und andere Militärinterventionen.

Mit westlicher Sieger-Mentalität, den Zurückweisungen und Degradierungen wurde Russland zu einem Feind gemacht, der nun seine eigenen Interessen auch gegen den Westen verfolgt und damit viel Kritik auf sich zieht, nach innen der Umgang mit der Opposition, nach außen die Stärkung nationalistischer Kräfte. Ein Großteil der westlichen Presse wirkt dabei hemmungslos am Feindbild Russland mit. Nach dem Motto „Die Russen sind an allem schuld“ wird Russland in maßloser Weise für alles Mögliche verantwortlich gemacht, bis hin zur Destabilisierung Europas und einer Entscheidung von Wahlen in westlichen Ländern. Entwicklungen wie in der Ukraine oder in Syrien werden aus ihren historischen und aktuellen Bezügen gerissen. Die Dämonisierung Putins widerspricht einer rationalen und vernünftigen Politik, die einen Interessensausgleich anstrebt.

Es gab und gibt aber auch eine andere Seite im Verhältnis zu Russland. Die nach wie vor vorhandene positive Grundstimmung gegenüber Russland in der deutschen Bevölkerung eröffnet Chancen für ein Klima des Friedens und eine gute Nachbarschaft. Trotz der Sanktionen gegen Russland bestehen nach wie vor Wirtschaftsbeziehungen, eine Energiepartnerschaft und auch vielfältige Kontakte in der Wissenschaft. Weiterhin gibt es auch sehr viele Städtepartnerschaften, Freundschaftsgesellschaften, wissenschaftliche und kulturelle Formen der Zusammenarbeit, bis hin zur „Volksdiplomatie“  für die friedliche Gestaltung internationaler Beziehungen.

Um die Beziehungen auf eine solide Grundlage zu stellen, braucht es  verschiedene Bausteine. Hierzu gehört die Wiederbelebung einer Politik gemeinsamer Sicherheit, in der  eigene Sicherheit nur gewährleistet ist, wenn auch die Sicherheit der anderen Seite garantiert ist. Kooperative Strukturen verschweigen nicht, dass es unterschiedliche, ja gegensätzliche Interessen geben kann, die im Sinne einer friedlichen Koexistenz zum Ausgleich gebracht werden statt Konflikte bis zum Krieg zu eskalieren. Um Gegensätze und Unterschiede zu überbrücken, Gemeinsamkeiten zu stärken und ein gegenseitigen Verständnis zu finden, sind Dialog, Verhandlungsbereitschaft und Kooperation, Kritik und Selbstkritik, Kompromissfähigkeit und verantwortungsvolle Diplomatie erforderlich. Dabei können auch Zivilgesellschaftliche Akteure und Aktivitäten wichtige Beiträge leisten, die auf Verständigung zielen statt auf Feinbildproduktion.

Eine Verständigung mit Russland ist dringlich, da die lösungsorientierte Bewältigung der globalen Herausforderungen, vom Klimawandel über nachhaltige Entwicklung und Armutsbekämpfung bis zur Gerechtigkeit und internationalen Friedenssicherung, eine gemeinsame Verantwortung und solidarische Antworten erfordern. Menschenrechte Demokratie, Gewaltenteilung und Parlamentarismus sind universelle Politikkonzepte, die als Basis für Verständigung und Menschlichkeit dienen sollten, und nicht als Kampfbegriffe für gegenseitige Beschuldigungen.

Es geht darum, militärische Aufrüstung zu stoppen, Spannungen abzubauen und durch Verhandlungen gegenseitiges Vertrauen aufzubauen. Abrüstung und die Zivilisierung von Konflikten sind unverzichtbare Bestandteile einer neuen Entspannungspolitik, die Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln verhindert. Ein Kernelement bleibt die nukleare Abrüstung. Statt bestehende Abrüstungsabkommen wie den INF-Vertrag aufzukündigen, ist das Verbot und die Abschaffung von Atomwaffen das Gebot der Stunde und die sicherste Möglichkeit, einen Atomkrieg in einer fragilen Weltlage zu verhindern.

Das ist Russlandpolitik im 21. Jahrhundert. Geschichtliche Erfahrungen und Lösungskonzepte wie die von Willy Brandt realisierte Entspannungspolitik müssen genutzt und weiterentwickelt werden statt sie immer weiter zu entleeren.

80 Jahre nukleare Kernspaltung – Erklärung der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative

„[…] Aufgrund ihrer Dichte und dem starken Energieaustausch ist zu erwarten, dass sich die Teilchen in einem schweren Atomkern in einer kollektiven Weise bewegen, vergleichbar mit der Bewegung eines Flüssigkeitstropfens. Wird diese Bewegung durch Energiezufuhr ausreichend stark angeregt, könnte sich ein solcher Tropfen in zwei kleinere Tropfen trennen. […] Es erscheint daher möglich, dass der Uran-Kern in seiner Form instabil ist. Er könnte sich daher nach der Aufnahme eines Neutrons in zwei Kerne von etwa gleicher Größe teilen. Diese beiden Kerne werden sich gegenseitig abstoßen und sollten, ausgehend von ihrem Kernradius und ihrer Ladung, insgesamt eine kinetische Energie von ca. 200 MeV entwickeln.” (Lise Meitner/Otto Frisch 1939, Nature, No. 3615, S. 239)

Mit diesen Worten lieferten Lise Meitner und Otto Frisch 1939 aus dem Exil die erste plausible theoretische Begründung für die revolutionäre Entdeckung der Kernspaltung am 17. Dezember 1938 durch Otto Hahn und Fritz Straßmann in Berlin. Revolutionär nicht nur, weil damit das Atomzeitalter der Menschheit anbrach mit allen seinen Folgen. Vielmehr widerlegte das Experiment die damals gängige Annahme des átomos, der unteilbaren kleinsten Bausteine der Materie. Bisher war es gängige Lehrmeinung gewesen, dass der Beschuss eines Atomkerns mit Neutronen sogenannte Transurane mit höherer Masse hervorbrachte. Der italienische Kernphysiker Enrico Fermi hatte bereits 1934 mit dieser Art von Experimenten begonnen. Hahn und Straßmann konnten mit Hilfe verschiedener Verfahren nachweisen, dass es sich jedoch um radioaktive Bariumisotope handelt, die eine geringere Masse als Uran aufweisen. Mit dem experimentellen Nachweis und der theoretischen Erklärung mit Hilfe des Tropfen-Modells durch Meitner und Frisch war daher eine kopernikanische Wende im Verständnis der Atome eingetreten, die auch in ihren – im Sinne des Wortes – gewaltigen Folgen schon früh von WissenschaftlerInnen antizipiert wurden.

Mit der Entdeckung der Freisetzung weiterer Neutronen im Spaltprozess wurde rasch deutlich, dass eine Kettenreaktion möglich ist, die große Mengen an Energie freisetzt. Ein Mechanismus, der für den Einsatz in einer Bombe nutzbar gemacht werden könnte. Zunächst fand die Idee zur zivilen Energieerzeugung in der Wissenschaft weitestgehende Zustimmung. Unter den Umständen des Zweiten Weltkriegs jedoch stand die Möglichkeit einer Atombombe im Fokus des Interesses von Entscheidungsträgern. Insbesondere die Furcht vor der Entwicklung einer „Deutschen Bombe“ trieb auch Wissenschaftler wie Albert Einstein um. Auf Drängen der emigrierten ungarischen Physiker in den USA, Leó Szilárd, Eugene Wigner und Edward Teller, verfasste Einstein einen Brief an Präsident Franklin D. Roosevelt. Darin enthalten war der Hinweis auf die Möglichkeit der Entwicklung einer amerikanischen Atombombe und die Empfehlung für eine Ausweitung der Mittel für das bisher bescheidene nukleare Forschungsprogramm der USA. Nach der theoretischen Begründung wurde ab 1942 das Manhatten-Projekt zum Bau einer Bombe lanciert. Die im Sommer 1945 fertig gestellten Atomwaffen wurden bewusst gegen Japan und seine Zivilbevölkerung eingesetzt – mit verheerenden Folgen.

Was trieb die Wissenschaftler an, bei diesem Projekt mitzuarbeiten? Lise Meitner selbst verweigerte sich jeder Forschung für eine alliierte Atombombe. Eugene Wigner beschrieb die Hoffnung, mit der Entwicklung der Bombe dem grausamen Zweiten Weltkrieg ein Ende zu bereiten. Doch bereits in dieser Zeit wurde die Überlegung diskutiert, dass durch ein Gleichgewicht des Schreckens zwischen den Atommächten nicht nur der Einsatz von Atomwaffen verhindert, sondern automatisch auch ein Ende jeglicher Kriege erreicht werden könne. Beide Hoffnungen blieben trügerisch, wie die Zerstörung von Hiroshima und Nagasaki, mehrere Beinahe-Atomwaffeneinsätze und zahlreiche Kriege der folgenden Jahrzehnte zeigen sollten.

In der Rückschau schreibt der Physiker Victor Weisskopf, einer der jüngeren Emigranten, der von Beginn an in Los Alamos an dem Manhatten-Projekt arbeitete, in seiner Autobiographie: „Heute bin ich mir nicht ganz sicher, ob mein Entschluß, mich an diesem ungeheuren – und ungeheuerlichen – Vorhaben zu beteiligen, allein auf der Befürchtung beruhte, die Nazis würden uns zuvorkommen. Es war vielleicht ganz einfach der Drang, an der bedeutsamen Arbeit teilzuhaben, die meine Freunde und Kollegen taten. Sicherlich spielte auch ein Gefühl des Stolzes mit, an einem einzigartigen, sensationellen Unternehmen mitzuwirken. Zudem bot es Gelegenheit, der Welt zu zeigen, wie kraftvoll, einflußreich und pragmatisch die esoterische Wissenschaft der Kernphysik sein konnte.“ In der Zeit nach 1945 war es die Verantwortung für die Verwendung ihrer Forschung, die viele Wissenschaftler in der Folge beschäftigte. Ebenso wie die Gewissheit, beteiligt zu sein, an der Produktion und dem Einsatz von Waffen, und dem Wettrüsten, das den Kalten Krieg prägte.

Einige von ihnen haben Wege gefunden, ihre Position als Experten zu nutzen, um Orientierungen zu geben für die öffentliche Diskussion, die Ausrichtung der Forschung und politische Richtungsentscheidungen. Beispiele für dieses wissenschaftlich-demokratische Selbstverständnis sind das Russell-Einstein-Manifest, die Mainauer Erklärung, der Appell der Göttinger 18. Ihnen gemeinsam ist die Einsicht in die Notwendigkeit, die eigene Position, das Wissen und die Fähigkeiten für die Förderung von Frieden und Verantwortung – und in diesem Falle – gegen nukleare Aufrüstung einzusetzen.

Mit der einseitigen Kündigung des INF-Vertrags durch den Präsidenten der USA steht die Weltgemeinschaft heute an einem historischen Punkt, an dem der Imperativ der atomaren Abrüstung in Frage steht. Doch in einer technologiebasierten Welt sind es die NaturwissenschaftlerInnen und IngenieurInnen, denen Verantwortung in immer neuen Bereichen zukommt. Der Nutzen von Künstlicher Intelligenz bei der Automatisierung der Kriegsführung, die kaum absehbaren Folgen von Eingriffen in das (menschliche) Genom, die Konsequenzen der computergestützten Verarbeitung großer Datenmengen für die Unverletzlichkeit der Privatsphäre aller sind nur einige Beispiele für aktuelle Herausforderungen, bei denen WissenschaftlerInnen Verantwortung übernehmen können. Das Vorsorgeprinzip (Precautionary Principle), der Bericht „Late lessons from early warnings“ der Europäischen Umweltagentur und nicht zuletzt die Rolle der WissenschaftlerInnen in der Geschichte der Kernspaltung sind Orientierungspunkte, die wir heute nutzen können, um unsere Verantwortung wahrzunehmen. Dazu gehört auch, dass wissenschaftliche Arbeitsbedingungen Reflexionsprozesse ermöglichen, die verantwortungsbewusste Forschung fördern.

Warnendes Beispiel sind die Verstrickungen der deutschen Physiker mit dem NS-Regime. Für NatWiss ist dies die Bestätigung, dass Verantwortung und Wissenschaft immer wieder neu und zusammen gedacht wie auch praktiziert werden müssen. Besonders dringlich ist die Bewahrung bestehender Abkommen für nuklear Rüstungskontrolle und Abrüstung wie den INF-Vertrag und die Durchsetzung neuer Verträge zum Verbot und Abschaffung aller Atomwaffen.

Die kommenden Jahre bergen zahlreiche Herausforderungen. 80 Jahre atomares Zeitalter haben Generationen von Menschen, Umwelt und Gesellschaft geprägt, ermöglicht, bedroht und vernichtet. Die Kenntnis dieser Geschichte ist uns Erinnerung an die Verantwortung Einzelner und in seiner wissenschaftlichen Faszination Antrieb unserer Forschung.

Solidaritätsbekundung mit dem Protest Tübinger Studierenden gegen die Militarisierung der Forschung

Ein Teil der Universität Tübingen wurde besetzt. Anlass ist u. a. das rüstungsrelevante Projekt „Cyber Valley“ (Informationen unter http://www.imi-online.de). Im Zentrum steht die zivil-militärische Zusammenarbeit zur Erforschung künstlicher Intelligenz. Sie konterkariert damit die Arbeit von tausenden (Natur-)WissenschaftlerInnen und Ingenieuren in aller Welt, die sich für Frieden und die Lösung von drängenden Problemen einsetzen. Die Besetzung ist daher ein überfälliger Schritt, den die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative ausdrücklich begrüßt. Der zu Recht von den Tübinger Studierenden kritisierte Einfluss privater Großunternehmen, insbesondere der rüstungsrelevanten Industrie, und die forschungsethisch problematische Exzellenzinitiative des Bundes sind nur zwei von vielen Beispielen, in welchem Umfang Universitäten betroffen sind. Universitäre Lehre und Forschung stecken seit Jahren in einer tiefen und permanenten Krise. Der Handlungsrahmen der universitären Selbstverwaltung ist mittlerweile stark eingeschränkt, die grundgesetzlich abgesicherte Autonomie der Forschung und Lehre gerät mit solchen Projekten weiter unter Druck. Dabei ist die Universität nur einer der Orte in der Gesellschaft, die von dieser Entwicklung betroffen sind. Während die Profite der Privatwirtschaft exorbitante Ausmaße annehmen, sind große Teile der Gesellschaft von den Folgen dieser Entwicklung bedroht. In dem Projekt des sogenannten „Cyber Valley“  laufen diese problematischen Entwicklungen exemplarisch zusammen. Politik und Wirtschaft arbeiten eng zusammen und schaffen neue Abhängigkeiten der Hochschulen Tübingen und Stuttgart. Die resultierende Auftragsforschung zu künstlicher Intelligenz ist auf eine schnelle Lieferung marktfähiger Anwendungen ausgerichtet und direkt an Kriegseinsätze gekoppelt. Die beschriebenen Abhängigkeiten erschweren eine dringend benötigte kritische Auseinandersetzung der ForscherInnen und der Öffentlichkeit mit ihrer Verantwortung für die Folgen dieser Forschung. Universitätsleitungen, -verwaltungen und Professorenschaft haben sich in diesem Krisenmodus eingerichtet. Studierendenstreiks sind ein legitimes Mittel, diese Bequemlichkeit des Weiter-so aufzubrechen. Doch die Entwicklungen seit 2009 haben gezeigt, dass punktuelle Brüche alleine keine bleibenden Veränderungen erreichen können. Die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative plant daher für 2019 die Wiederbelebung und Weiterentwicklung der Proteste auf dem Gebiet der – (natur)wissenschaftlich relevanten, aber defizitären – Zivilklauseln. Weitere Themengebiete werden in Zusammenarbeit mit Mittelbau, Studierenden, Professoren und Gewerkschaften folgen. Die Fragen von Verantwortung in Wissenschaft, Forschung und Lehre für eine friedliche, klimagerechte Welt sind drängendste Fragen der Gegenwart. NatWiss lädt dazu ein, gemeinsam Positionen und praktische Schritte zu entwickeln, um Antworten auf diese Fragen zu finden. Wir rufen die Kolleginnen und Kollegen, Professores, Mittelbau und Emeriti dazu auf, sich an den legitimen Protesten zu beteiligen und in Lehrveranstaltungen und Seminaren die Entwicklung der Universitäten zu thematisieren. Fachleute von NatWiss e.V. stehen für dezentrale Diskussionsveranstaltungen auf Anfrage zur Verfügung.

Defend the INF Treaty

The International Peace Bureau (IPB) and its partners published an appeal to defend the INF Treaty on Saturday, the 8th of December 2018, in the Guardian (page 45). NatWiss also signed the appeal.

The appeal reads:

“Defend the INF Treaty

President Trump’s threat to withdraw the USA from the Intermediate-Range Nuclear Forces (INF) Treaty marks a dangerous escalation on the path to a 21st century US-Russian Cold War. The INF Treaty, which millions of people around the world fought for and won, was negotiated in 1987 and marked the beginning of the end of the Cold War.

It led to the elimination and renunciation of deployments of all US and Russian nuclear and conventional ground-launched cruise and ballistic missiles with ranges of 500 to 5,000 km. This dramatically reduced the danger of Europe becoming the primary theatre for nuclear war.

Abandoning the INF Treaty, combined with the possible expiry of the New START Treaty in 2021, will end all nuclear arms agreements between the two countries that possess more than 90% of the world’s nuclear weapons, opening the way for an unrestrained and dangerous nuclear arms race.

President Trump’s threat to abandon this treaty builds on the recent history of military expansion, including that of NATO; on plans for “more usable” nuclear weapons; on the withdrawal from the Anti-Ballistic Missile Treaty; and on the commitment to develop and deploy a new generation of US nuclear weapons, their delivery systems and missile defences.

President Putin has responded by reiterating Russia’s commitment to maintain the Mutually Assured Destruction “balance of forces” with the USA. Already Russian nuclear-capable missiles have been deployed to Kaliningrad, at the edge of Europe, and President Putin has threatened to match any US missile deployments in Europe.

We urgently appeal for negotiations to preserve and reinforce the INF Treaty; for the adoption of and adherence to no-first-use doctrines; for credible commitments to fulfil the nuclear powers’ Nuclear Non-Proliferation Treaty disarmament obligations; and for nuclear arsenal reductions with savings redirected to address essential human needs. All other nuclear-armed states, including China, should be involved in future INF-related negotiations.

We call on all countries to ratify the Treaty on the Prohibition of Nuclear Weapons, adopted by the UN in 2017, which offers a solid international framework toward the elimination of nuclear weapons.

To avert a new nuclear arms race, we call on people and countries throughout the world to use all political and diplomatic means available to defend the INF Treaty and to work for a nuclear-free world.

Act now in the name of human survival!”

Bericht vom Kongress Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden

Kongress der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative, Berlin, 15.-16. Juni 2018

von Malte Albrecht

Angesichts hoher Rüstungsausgaben, eines zunehmenden Waffenhandels und des Vormarsches neuer Milita¨rtechnologien hatte sich die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative (NatWiss) für ihren diesjährigen Kongress »Wissenschaft zwischen Krieg und Frieden« vorgenommen, die Wissenschaft von heute einer Standortbestimmung zu unterziehen. Gefördert von der GEW und unterstützt durch BdWi, FIFF, IALANA, IPB, IPPNW, VDW und W&F1 diskutierten Fachleute aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft, welche Rolle der Wissenschaft bei der weltweiten Militarisierung zukommt. Eng damit gekoppelt ging es auch um konkrete Möglichkeiten, Verantwortung und Wissenschaft zusammen zu denken: Welche Verantwortung tragen Wissenschaftler*innen und was kann jede(r) Einzelne zum Frieden beitragen?

Ausgangspunkt waren Überlegungen zur aktuellen Situation wissenschaftlichen Arbeitens. Die Wissenschaftler*innen sind konfrontiert mit unzureichenden Reformen an den Universitäten, dem Fehlen öffentlicher Gelder und der zunehmenden Drittmittelabha¨ngigkeit von Forschung und Lehre, was den Druck verstärkt, Projekte einzuwerben. Zentrales Ergebnis des Kongresses war im Abschlussplenum die Forderung nach Wiederbelebung und Erneuerung der Idee einer Zivilklausel. NatWiss e.V. wird daher für 2019 einen Kongress der Zivilklausel-Bewegung initiieren.

In ihrem Grußwort zu Beginn der Tagung betonte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe, Frieden, integrales Ziel der gewerkschaftlichen Bewegung und Geschichte, sei auch im Wissenschaftsbetrieb von großer Bedeutung. Tepe plädierte dafür, in der Wissenschaft die Arbeitsbedingungen an den Forschungseinrichtungen mit in den Blick zu nehmen. Es gebe bereits gute Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und Wissenschaft. Das »Templiner Manifest« (2010) der GEW beispielsweise habe gezeigt, an welchen Stellen es dringenden Handlungsbedarf gebe. Tepe betonte darüber hinaus den Willen der GEW, weiterhin eine Zusammenarbeit zu fördern.

Dr. Alex Rosen, Kinderarzt und Vorsitzender der deutschen Sektion der IPPNW, erinnerte an die verheerenden Folgen der Atombomben-Abwürfe auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Am Beispile des im Juli 2017 vereinbarten »Vertrags über das Verbot von Kernwaffen« (Ban Treaty) stellte Rosen einen Vertragsprozess innerhalb der Vereinten Nationen, unter Mitwirkung der Zivilgesellschaft, als Möglichkeit vor, den Gefahren der nuklearen Aufrüstung in Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zu begegnen.

Professor Lothar Brock (VDW) von der Goethe-Universität Frankfurt reflektierte die Wissenschaft als Teil organisierter Gewalt. Dabei ging er insbesondere auf das widersprüchliche Verhältnis von Wissenschaft und Krieg ein: Während Wissenschaft durch Forschungsaufträge und -mittel vom Krieg profitiert, wird sie durch Krieg gleichzeitig außer Kraft gesetzt. Krieg ist ohne Wissenschaft unmöglich, gleichzeitig steht die Wissenschaft aber auch für die Kritik des Krieges. Es sei demnach mitnichten so, dass Wissenschaft und Krieg sich historisch wechselseitig nur befördert hätten. In der Beziehung zwischen Wissenschaft und Krieg konstatierte Brock eine Entwicklung. So seien mit der Umorientierung von der Militärwissenschaft zur sicherheitspolitischen Forschung und der Dual-use-Problematik inzwischen alle Teile des Wissenschaftsbetriebs mit kriegsrelevanter Wissensproduktion konfrontiert. Dies gelte neben den technischen Entwicklungen ebenso für die Produktion legitimatorischen Wissens. Als Handlungsfelder identifizierte Brock zum einen wissenschaftsimmanente Mechanismen der Kontrolle und Reflexion. Dazu seien der Einsatz für mehr Transparenz sowie wissenschaftliche Überzeugungsarbeit im öffentlichen Raum geeignete Wege. Die Stärkung internationaler Kooperation im Rahmen der Vereinten Nationen und ihrer rechtlichen Grundlagen sowie die Beteiligung von Akteur*innen aus der Wissenschaft an der Entwicklung ziviler Konfliktbearbeitungsstrategien seien weitere Möglichkeiten der Einflussnahme. Dabei sei es wichtig, dass die zivile Konfliktbearbeitung nicht der Logik militärischer Sicherheitspolitik verhaftet bliebe. Politische Phänomene, wie die internationale Zusammenarbeit der Rüstungsindustrie, Klimawandel und damit verbunden die Konkurrenz menschlicher Interessen in einer globalisierten Welt, seien Herausforderungen auch für Wissenschaftler*innen. Brock plädierte daher dafür, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Wissenschaft das ist, was sie schon immer war: nicht nur eine Denkveranstaltung, sondern immer auch ein politischer Akteur.

Reiner Braun (NatWiss) wies auf die zahlreichen aktuellen Herausforderungen hin: die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, das Pariser Klimaabkommen und das Ziel, die Auswirkungen der Klimakatastrophe abzuwehren, sowie die Armut auch im eigenen Land, die breiter werdende Kluft zwischen Arm und Reich, die Furcht von Millionen vor dem Abrutschen in Armut. Zugleich seien die aktuellen Entwicklungen direkte Folgen politischer Prioritätensetzung auf nationaler und internationaler Ebene. Während Gemeinsinn vor Profit und die Interessen der 99 % gegen die der 1 % durchgesetzt werden sollten, sei die Realität im neoliberalen Kapitalismus von Konfrontation statt Kooperation, dem täglichen Töten als Gegenpol zum täglichen Ringen um Leben und Überleben, Rüstungsexporten und völkerrechtswidrigen Drohnen-Einsätzen geprägt. Diese konfrontative Politik berge die Gefahr eines Weltbrandes. Die Friedensbewegung sei ein schwacher, aber umso notwendiger Teil der Lösung der drängendsten Herausforderungen. Hier gebe es drei Handlungsfelder: Abrüstung, Schaffung eines internationalen Klimas der Kooperation statt Konfrontation sowie ein mutiges und kontinuierliches Engagement für den Frieden.

Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung (IMI) sprach über den Stand der Militärforschung in Deutschland. Dabei machte sie deutlich, dass aktuelle militärische Entwicklungen und Aufrüstung ohne Zugriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschung nicht möglich sind. Als Beispiel nannte sie das neue Konzept der Bundesregierung zur Bundeswehr, insbesondere die Konzeption zur »Cybersicherheit«. Haydt betonte, Rüstungsforschung sei eigentlich kein Bestandteil öffentlicher Forschungsförderung des BMBF. Dennoch hätten sich die Ausgaben des BMBF für rüstungsbezogene Forschung zwischen 2010 und 2015 (sieben Millionen Euro pro Jahr) im Vergleich zu dem Jahr 2000 (vier Millionen Euro pro Jahr) fast verdoppelt. Diese Zahlen zeigen, so Haydt, dass die öffentlichen rüstungsbezogenen Forschungsgelder für die Universitäten keine wichtige Einkommensquelle darstellten, für das Militär jedoch den unverzichtbaren Zugriff auf wissenschaftliche Forschungsergebnisse ermöglichen. Dies identifizierte Haydt als ein wichtiges Handlungsfeld. Trotz der Unzulänglichkeiten der Zivilklauseln plädierte Haydt für eine Weiterentwicklung dieses Instruments und die Herstellung von Öffentlichkeit.

Hartwig Hummel, Professor an der Universität Düsseldorf und bis vor Kurzem Vorstandsmitglied von W&F, griff das Thema der Verantwortung und der Zivilklauseln auf und plädierte für eine Weiterentwicklung des Wissenschaftsdiskurses. Im Vergleich zwischen Japan und Deutschland zeigte Hummel am Beispiel von fünf zentralen Argumentationslinien die Unterschiede auf, die das Wissenschaftsverständnis in Japan und Deutschland prägen. So gelte in Deutschland die Zivilklausel als unerwünschte Politisierung der Forschung, denn hier stehe die individuelle Verantwortung des*der Wissenschaftlerinnen im Fokus. In Japan hingegen gelte gerade die Ablehnung von Militärforschung als Ausdruck ethisch und gesellschaftlich verantwortlicher Wissenschaft. In der Frage der Wissenschaftsfreiheit stünden in Deutschland nach vorherrschender Überzeugung Zivilklauseln für einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Im japanischen Verständnis hingegen störe jede Investition in militärische Forschung die selbstbestimmte und freie Entfaltung der Wissenschaft. Militäreinsätze sowie die Forschung für militärische Zwecke gälten in Deutschland als legitim, in Japan hingegen verstehe sich die Wissenschaft als kosmopolitische Forschungsgemeinschaft, in der nationale Militärforschung keinen Platz habe. Dies zeige sich auch im Umgang mit der Dual-use-Frage. In Deutschland gälte die kritische Hinterfragung von Dual-use-Forschung als unpraktikabel, während in Japan Zivilklauseln von Kommissionen genutzt würden, um die negativen Auswirkungen militärisch nützlicher Forschung zu erkennen. Jegliche militärische Forschungsfinanzierung stehe unter Generalverdacht. Während in Deutschland die individuelle Forschungsverantwortung betont werde, seien in Japan die einzelnen Forscher*innen Teil einer Forschungsgemeinschaft. Die Institutionen dieser Gemeinschaft, wie Hochschulen und ihre Fachverbände, seien daher mindestens ebenso Träger einer kollektiven Verantwortung.

In der Podiumsdiskussion mit Professor Hartmut Graßl (VDW), Professor Werner Ruf (Friedensforscher) und Professor Ernst Ulrich von Weizsäcker (Club of Rome) standen die Fragen nach Wissen, seiner Verbreitung und den Bedingungen der Wissensproduktion in Forschungseinrichtungen im Zentrum. Von Weizsäcker betonte die Bedeutung der Folgen wissenschaftlicher Forschung, die die Existenzbedingungen der Menschheit in Frage stellen. Künstliche Intelligenz, Geo-Engineering und CRISPR/Cas sowie Gene Drive seien Entwicklungen, über deren mögliche Folgen wenig bis gar keine öffentliche Diskussion stattfinde. Von Weizäcker plädierte daher für eine aktive Rolle von Wissenschaftler*innen und ihren Organisationen, wie NatWiss e.V., als Akteure, die zu einem kritischen Bewusstsein der Menschen beitragen könnten. Ihre Aufgabe sei es, das Wissen über ihre Forschung in eine breite, öffentliche Diskussion einzubringen. Dabei gehe es auch darum, den militärisch relevanten Charakter dieser Entwicklungen aufzuzeigen.

Werner Ruf stellte die Frage nach den gesellschaftlichen Produktionsbedingungen von Wissen. Neben der Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse an den Universitäten mit Zeitverträgen und geringer öffentlicher Finanzierung sei vor allem auch die zunehmende Rolle von Drittmitteln problematisch. So gelte inzwischen Drittmittelförderung als Nachweis von Wissenschaftlichkeit, was in der Formel münde: Auftragsforschung = Wissenschaftlichkeit. Im Mittelbau gebe es subtile Mechanismen, die dazu führen, dass unter Bedingungen existenzieller Nöte kaum mehr darüber reflektiert werde, welche Folgen die eigene Forschung habe. Im Bereich der Zivilgesellschaft lasse sich zudem eine zunehmende Militarisierung beobachten. Angesichts der Mitarbeit von 200 Nichtregierungsorganisationen am verteidigungspolitischen Weißbuch der Bundesregierung stelle sich die Frage, ob es sich um einen Demokratisierungsprozess oder nicht eher um einen Militarisierungsprozess handele. Ruf identifizierte daher die Verbesserung der materiellen Existenzbedingungen im Wissenschaftsbetrieb als ein zentrales Handlungsfeld für die Ermöglichung einer unabhängigen Wissensproduktion. Hier ergäben sich auch Anknüpfungspunkte für die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften.

Hartmut Graßl knüpfte an das Plädoyer von Weizsäckers an und berichtete von der Einrichtung einer Arbeitsgruppe in der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW) zu den Folgen von Künstlicher Intelligenz (KI). Graßl verglich die Gefahren der KI mit der Bedrohung durch einen Atomkrieg. Diese Folgen seien nicht ausreichend präsent im öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurs. In Ergänzung zu den Beträgen von Weizsäckers und Rufs betonte Graßl, dass es viele Wissenschaftler*innen gäbe, die für das Militär arbeiten würden. In Erwiderung zu Hartwig Hummel stellte Graßl die Frage, weshalb eine solche Kultur in Japan möglich geworden sei. Die Schutzgarantien anderer Länder hätten eine Fokussierung auf eine friedliche Kultur ermöglicht. Auch Deutschland habe diese Schutzgarantien. Graßl plädierte als Vorsitzender der VDW für eine optimistischere Perspektive. Die Klima-Charta von Paris, 70 Jahre friedliches Zusammenleben und die EU als Friedensunion seien das Resultat einer vernünftigen Handlungsweise und gäben Anlass für Optimismus, aber auch für andauerndes Engagement mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens.

Ausgehend von einer kritischen Analyse der Faktoren, die zur Bedrohung durch Aufrüstung und Klimakonflikte führen, diskutierte Professor Jürgen Scheffran (NatWiss/VDW) Beiträge der Wissenschaft zum nachhaltigen Frieden. Zugrunde liegen Fragen nach der Verantwortung der Wissenschaft, wie wissenschaftliche Erkenntnisse die Gesellschaft beeinflussen und formen, wie Wissenschaft kommuniziert und angewendet wird und wie nachhaltige und friedensfördernde Wissenschaft beratend und aktiv in gesellschaftliche und politische Prozesse einfließen kann, als Teil einer „»neuen Aufklärung«. Hierfür gibt es historische Beispiele, vom Russell-Einstein-Manifest und der Göttinger Erklärung gegen die Atombewaffnung der Bundeswehr über die Untersuchung nuklearer Risiken bis hin zu wissenschaftlichen Bemühungen um eine friedliche und nachhaltige Welt ohne nukleare Bedrohung. Hierzu gehören auch jüngste Forschungen zu den Sicherheitsrisiken des Klimawandels – von Wasser- und Landkonflikten über die Zerstörungen durch Wetterextreme bis hin zu globalen Vertreibungen und Fluchtbewegungen. Diese Risiken verdichten sich zusammen mit anderen globalen Problemen (Gewaltkonflikten und Terrorismus, Hunger und Armut, Wirtschaftskrise und Nationalismus) zu immer neuen Krisenherden. Im Zeitalter des Anthropozän stößt die forcierte kapitalistische Globalisierung zunehmend auf ökologische, ökonomische, soziale, politische und wissenschaftlich-technische Grenzen. Statt Zerstörungs- und Gewaltmittel weiter zu steigern, sollten Innovationen in Wissenschaft und Technik die Transformation in eine lebensfähige und lebenswerte Welt ermöglichen, die durch nachhaltige Entwicklung und kooperative Friedenssicherung im gemeinsamen Haus unseres Planeten gekennzeichnet ist. Alternativen gibt es genug, vom Atomwaffenverbotsvertrag und dem Pariser Klimaabkommen, die jeweils von einer Koalition von Staaten mit der Zivilgesellschaft herbeigeführt wurden, bis zum Umbau in eine erneuerbare Energieversorgung und eine kohlenstoffarme Gesellschaft, die Ökosysteme bewahrt, allen Menschen Wohlstand und ein friedliches Zusammenleben ermöglicht.

In einem Abschluss-Plenum, in dem auch die Ergebnisse der verschiedenen Workshops vorgestellt und diskutiert wurden, wurde die Forderung nach Erneuerung der Zivilklausel-Bewegung besonders deutlich. Ein Kongress zur Zivilklausel wurde in Zusammenarbeit mit den Partnern des Kongresses in die Planung von NatWiss e.V. aufgenommen und befindet sich in Vorbereitung für das Frühjahr 2019.

Anmerkung

1) BdWi = Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler; GEW = Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft; FIFF= Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung; IALANA = IALANA Deutschland – Vereinigung für Friedensrecht; IPB = International Peace Bureau; IPPNW = International Physicians for the Prevention of Nuclear War; VDW = Vereinigung Deutscher Wissenschaftler; W&F = Wissenschaft und Frieden.

Erstveröffentlichung des Artikel in Wissenschaft & Frieden 2018-4: Kriegsführung 4.0

NachDenkSeiten: Das Ende des INF-Vertrages wäre das Ende einer internationalen Abrüstungspolitik

Werden die USA wieder Mittelstreckenraketen in Europa stationieren? Das könnte zumindest dann der Fall sein, wenn die Ankündigungen von US-Präsident Donald Trump umgesetzt werden. Dieser hatte vor kurzem gesagt, dass der so genannte INF-Vertrag zur atomaren Abrüstung aufgekündigt werde. Im Interview mit den NachDenkSeiten warnt Pascal Luig vor den weitreichenden Konsequenzen, die sich aus dem Ende des Vertrages, der den Bau und Besitz landgestützter, atomarer Raketen verbietet, ergeben können. Der Geschäftsführer der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative geht davon aus, dass erneut ein ungehemmtes atomares Wettrüsten zwischen den Großmächten droht und es zu einer Stationierung von neuen landgestützten Atomwaffen in Europa kommen könnte. Ein Interview über den INF-Vertrag, das „Vermächtnis der Friedensbewegung“ und die möglichen Hintergründe für das Verhalten der USA. […]

Das ganze Interview auf den NachDenkSeiten lesen >