Als deutsche Reaktion auf den Krieg in der Ukraine hat die Bundesregierung eine kriegsorientierte Umkehr vorgeschlagen. Das Rüstungsforschungsinstitut SIPRI hält dazu fest: „Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (…) beendete innerhalb einer halben Stunde die jahrzehntelange politische Zurückhaltung und leitete eine neue Ära der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ein. (…) Sollte Scholz‘ Vorschlag umgesetzt werden, würde dies den größten absoluten Anstieg der deutschen Militärausgaben seit mindestens dem Zweiten Weltkrieg bedeuten.“[1]
Im Raum stehen Milliarden für die internationale und deutsche
Waffenindustrie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liefern das Wissen
und die Technik. Wir brauchen jetzt eine Festlegung der Selbstverwaltung von
Wissenschaft und Forschung auf Friedensförderung. Denn unsere Forschung zeigt auch, dass Aufrüstung
jedes Ringen um die Minderung der Folgen der Vielfachkrise, insbesondere des
Klimas konterkariert: Waffenproduktion verschwendet wertvolle Ressourcen, die für
die globale Energiewende benötigt werden; das Militär ist einer der größten
Schadstoffemittenten; Waffeneinsätze verseuchen die Umwelt unwiederbringlich,
auch in Friedenszeiten; Aufrüstung und Krieg verschärfen den Hunger in der
Welt.
- Wir brauchen jetzt eine gesellschaftliche
Debatte, wie wir in Deutschland zum Ende des Krieges in der Ukraine beitragen können, statt ihn zu verlängern.
- Wir brauchen eine Debatte und konkrete
Entscheidungen, wie ein friedliches Europa nach dem Krieg aussehen kann – mit
den Menschen aus der Ukraine, aus Russland und dem Rest der Welt.
- Wir brauchen eine Debatte, wie wir aus der
militaristischen Spirale von Konfrontation und Konkurrenz herauskommen.
- Wir brauchen konkrete Entscheidungen und
politisches Handeln, um Kooperation und gerechte Ressourcenverteilung für alle
zu erreichen.
Diese Überlegungen spielen bisher keine Rolle für das Regierungshandeln. Grund genug für uns als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unser aller Recht auf öffentliche Debatte und Mitbestimmung einzufordern. Generationen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern haben an Lösungen für diese Probleme gearbeitet. Lösungen sind da. Es wird Zeit, sie umzusetzen. Diese Petition ist ein erster Schritt. Wir bauen auf Ihre Unterstützung und Ihre Stimme.
Wir bitten den Bundestag zu beschließen:
1) Die Kürzung des Rüstungsetats und die Verwendung dieser Ressourcen für die Energiewende hin zu den erneuerbaren Energien und für nachhaltige Entwicklung auch im sozialen Bereich.
2) Keine Grundgesetzänderung, weder zur Schaffung des Sondervermögens von 100 Mrd. Euro für Aufrüstung noch zu einer Verpflichtung dazu.
3) Direkte Beteiligung der Zivilgesellschaft bei Fragen der Friedens- und Sicherheitspolitik.
Begründung
Die NaturwissenschaftlerInnen-Initiative „Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ (NatWiss) verurteilt den Angriff Russlands gegen die Ukraine, der nicht zu rechtfertigen ist und die Regeln des Völkerrechts verletzt, mit unabsehbaren Opfern und Schäden. Gleichzeitig vergessen wir nicht, dass im Vorfeld des Krieges Warnungen und Vorschläge ignoriert, Prinzipien von Kriegsvermeidung und Friedenssicherung missachtet wurden. Das Wissen über Kriegsursachen und Friedenslösungen muss genutzt werden, um die Kriegshandlungen zu beenden und weitere Eskalationsspiralen zu vermeiden. Daher setzen wir uns für Frieden ein und gegen jeden Militarismus!
In diesem Krieg drohen
alle zu verlieren, egal wer sich auf den Trümmern und Gräbern zum
„Sieger“ erklärt. Hauptopfer sind die Menschen in der Ukraine, die
Toten, Verwundeten und Flüchtenden. Die Folgen treffen auch die
Bevölkerung Russlands und Menschen in der ganzen Welt. Es verliert das
Völkerrecht, die europäische Friedensordnung und die Zivilgesellschaft.
Die Schäden und Kosten des Krieges zerstören die Bedingungen für
nachhaltigen Frieden und die Lösung globaler Probleme: Armut und Hunger,
Vertreibung und Flucht, Umweltzerstörung und Klimawandel. Ein Atomkrieg
wäre das Ende der Menschheit: No Future!
Opfer ist auch die
Wahrheit. Kriegspropaganda dominiert auf allen Seiten. Die überhitzte
Echokammer der Kriegsempörung löscht früheres Wissen, das für die
Zukunft gebraucht wird. Kaum gefragt wird, wie es zur Katastrophe kam,
wer über Jahrzehnte die Eskalationsspirale angetrieben hat. Ist es bloß
der zum Dämon erklärte Putin oder auch die NATO, die nach dem Sieg im
Kalten Krieg über alle Grenzen expandierte, bis zur Schwelle des
Krieges? Wer Frieden mit Aufrüstung und Militärinterventionen
untergraben und selbst das Völkerrecht gebrochen hat, ist ein schlechter
Ratgeber für friedliche Lösungen. Getrieben durch die am Krieg
verdienende Rüstungsindustrie drängen diese Kräfte schon lange auf eine
„Zeitenwende“ geopolitischer Machtkämpfe und eine weitere Aufrüstung der
NATO, wodurch die Welt unsicherer wird. Mit Kriegsbeginn verdoppelte
die Bundesregierung die in den letzten Jahren stark gestiegenen
Militärausgaben und übertrifft nun alleine schon die Russlands vor dem
Krieg. Rüstung mit noch mehr Rüstung zu bekämpfen ist so wenig
zukunftsfähig wie dem Klimawandel mit Klimaanlagen zu begegnen.
Gegen
das Vergessen ist es die Pflicht der Wissenschaft, das Wissen über
Krieg und Frieden für die Beendigung des Ukraine-Krieges und die
Verhinderung weiterer Kriege zu aktivieren:
1. Wir sagen Nein zu
Wirtschaftskriegen, Waffenlieferungen oder Militäraktionen, die die
Eskalationsspirale vor und in diesem Krieg angeheizt haben, und lehnen
Sanktionen ab, die die Bevölkerung weltweit treffen.
2. Wir
unterstützen humanitäre Hilfe für Flüchtlinge und Opfer von Gewalt,
ebenso den Ausbau der Verbindungen zur Zivilgesellschaft und
Friedensbewegung in Russland und der Ukraine, um Bewegungen zur
Beendigung des Krieges zu mobilisieren.
3. Den Versuchen, einen
totalen Krieg in allen Bereichen der Gesellschaft zu forcieren und
autoritäre Strukturen von Militarismus, Kriegsgehorsam und Denkverboten
zu unterstützen, stellen wir die Zivilgesellschaft und ihre zivilen
Prinzipien für menschliches Zusammenleben und Konfliktlösung entgegen.
4.
Auf die Anklagebank gehören die zum Krieg drängenden Kräfte, nicht die
Friedenskräfte, die seit Bertha von Suttner „Die Waffen nieder!“ rufen
und vor Krieg warnen, dringlicher denn je.
5. Die Kriegslogik
gegeneinander muss ersetzt werden durch die Friedenslogik miteinander:
Deeskalation, Diplomatie, sofortige Einstellung der Kriegshandlungen,
Rückzug der Waffen, Verhandlung und Vermittlung zwischen den
Konfliktparteien, Schutz und Stärkung des Völkerrechts, Schaffung einer
europäischen und globalen Friedensarchitektur unter Einschluss Russlands
und Chinas.
6. Statt einer Zeitenwende für Aufrüstung und Krieg braucht die Welt eine Zeitenwende für Abrüstung und Frieden, für gemeinsame Sicherheit im Haus Europa, für Nachhaltigkeit und die Lösung der globalen Probleme auf unserem Planeten.
[1] https://www.sipri.org/commentary/blog/2022/explainer-proposed-hike-german-military-spending?utm_source=phpList&utm_medium=email&utm_campaign=SIPRI+Update+April+2022%3A+New+military+expenditure+data%2C+Stockholm+Forum+registration%2C+impact+of+war+in+Ukraine+on+food+security%2C+and+more&utm_content=HTML