Rede von Reiner Braun auf dem G20 Alternativgipfel für globale Solidarität

Der G20 Gipfel – was hat eigentlich Frieden oder Militarismus mit G20 zu tun

Reiner Braun, Co-Präsident des IPB; auf dem Alternativ- Gipfel für globale Solidarität 5. Juli 2017, Hamburg

Die erste Antwort heißt NATO.  Acht der 20 an dem G20-Tisch Sitzenden – ich zähle die Europäische Union als ein Mitglied, obwohl nicht alle Staaten der Europäischen Union Mitglieder der NATO sind – gehören der NATO an. Diese NATO-Staaten haben mit weiteren Acht der G20 Staaten militärische sicherheitspolitische Kooperationen, meistens unter dem Stichwort „Partnership for Peace“, aber seit dem letzten NATO Gipfeln, in Brüssel, Warschau und Newport/Wales auch weitere sicherheitspolitische Vereinbarungen.
Diese Staaten sind Japan, Indien, Australien, Mexiko, Süd Korea, Indonesien und Saudi-Arabien. Es sitzen also 16 Staaten an diesem Tisch, die eng mit einem Militärbündnis verbunden sind, das sich offensiv auf seine Fahnen schreibt, die Rohstoff- und Profitinteressen und die Handelswege der wesentlichen imperialen Mächte dieser Welt zu sichern.

Dass dies nicht friedensfördernd ist, dokumentieren die 16 Interventionen an denen die Bundeswehr beteiligt ist, die NATO ist in mehr als 20 out of area Kriegen involviert.

Unter diesen 16 Ländern befindet sich eine ganze Reihe, die heute schon die angestrebten 2% des Bruttosozialprodukts ihres Landes für Rüstung ausgeben – die also hoch militarisiert sind. Als Beispiele seien nur die USA und Süd Korea genannt. 2% des Bruttosozialproduktes für Rüstung und Krieg, das ist das „Traumziel“ der NATO und zurzeit besonders aggressiv vorgetragen von US-präsident Trump.
Für Deutschland würde dieses bedeuten: statt der 37 Milliarden von 2017 ca. 70 Milliarden. Die Konsequenzen für Soziales, für Bildung, Wissenschaft, Infrastruktur und Gesundheit sind leicht auszumalen. Butter und Kanonen haben noch nie funktioniert. Übrigens: Das Wahlprogramm der CDU/CSU enthält diese Aufrüstungsvorgabe.

Militarismus Teil 2: Diese G20-Länder geben 83% der weltweiten Rüstungsausgaben in Höhe von 1,7 Billionen $ (Zahlen von 2016/17) aus und sind

Militarismus Teil 3 an 85% des Rüstungsexports beteiligt. Es gibt auf dieser Erde kaum einen Rüstungsexport, der ohne sie stattfindet.

Militarismus teil 4: Sechs der neun Atomwaffenmächte sitzen am Tisch der G20, die über 96% der noch existierenden Atomwaffen verfügen. Von den 19 G20 Teilnehmern haben nur sechs an den Verhandlungen der Vereinten Nationen über den „Ban Treaty“ teilgenommen, der am 7.7.2017 abgeschlossen wurde und von 130 Ländern dieser Welt  verhandelt wurde. Die größten Rüstungsproduzenten und Rüstungsausgeber sitzen in Hamburg und nicht am Tisch der demokratisch legimitierten Vereinten Nationen, um über Atomwaffen-Abrüstung zu verhandeln. Dieses ist die Realität des militaristischen Apparats, der sich hier die nächsten Tage treffen wird.

Alle G20, die an diesem Tisch sitzen, sind an zentralen Kriegen und Konflikten auf dieser Erde beteiligt. Kein Land dieser 20 ist nicht an kriegerischen, hoch konfliktorientierten Auseinandersetzung beteiligt.

Dies zeigt die Kriegsdynamik, die sich hier in Hamburg trifft.

 

Zur Rolle der Europäischen Union

Ich muss erneute ich mit einer Legende aufräumen, die immer noch transportiert wird und die Frau Merkel und wahrscheinlich auch Herr Macron am Freitag und Samstag wieder vor sich her schieben wollen: „Die friedliche Europäische Union“. Die Europäische Union ist an 16 der weltweiten Interventionskriege beteiligt, vom Kosovo über Mali, Kongo und weitere, inklusive der so genannten Verfolgung der „Piraten“ vor Afrika und am Golf von Aden.

Diese Europäische Union entwickelt zurzeit einen eigenen  einen militärisch-industriellen Komplex. Dieser Komplex existiert bereits für Militärflugzeuge in Form von Airbus und wird jetzt entwickelt und zusammengeschoben für die  Marine und für den Panzerbau Tanks. Zentrale Konzerne und Regierungen  von Frankreich und Deutschland spielen die vorwärtsweisende Rolle, andere bis hin zu Schweden wollen auch einen Teil vom Gewinn mit dem Tode.

Vergessen sollten wir nicht die intensive europäische Kooperation  bei kleinkalibrigen Waffen. Dieser kooperative Militarisierungsprozess ist nicht ohne Widersprüche aber dominant ist eine enger werdende Industriekooperation für die Rüstung.

Diese Europäische Union arbeitet zurzeit auch an dem Traum einiger, besonders deutscher, Politiker: eine Europäische Armee. Diese ist noch nicht sofort durchsetzbar. Was es aber bereits gibt, sind „Anker-Armeen“. Anker-Armee heißt, dass kleinere Armeen in die großen Armeen Europas integriert werden und wer ist die beste und größte? Die Bundeswehr.

Die Tschechen, die Holländer, die Polen und die Slowaken haben bereits Teile ihrer nationalen Armeen in die Bundeswehr-Struktur integriert. Dieses System soll weiter ausgebaut werden, jedenfalls nach Frau von der Leyens Wünschen oder Hoffnungen. Das ist für mich bereits die Grundstruktur einer Europäischen Armee, die weiter verstärkt wird durch eine enge Kooperation zwischen der französischen Armee und der Bundeswehr. Hierzu haben Macron und Merkel schon bei ihrem ersten Treffen die ersten Integrations-Vereinbarungen getroffen, hinsichtlich eines Armee-Korps in Rheinland Pfalz und dem französischen Armee-Korps  in Lothringen. Der Aufbau dieser Europäischen Armee geht scheinbar schneller, als wir gedacht haben.

Dazu kommt ein deutlicher Ausbau der Militärforschung in Europa. Zum ersten Mal werden im europäischen Budget von 2019 90 Millionen Euro für Rüstungsforschung ausgewiesen. Dieser Anteil soll bis 2024 auf 500 Millionen Euro steigen. Das heißt, Rüstungsforschung ist eine dominante Frage und ihr Ausbau bedeutet eine wachsende Konkurrenz mit den USA. Wenn man so hervorragend „militarisiert“ wie Europa, braucht man auch ein militärisches Hauptquartier. Dieses ist vor wenigen Wochen in Brüssel eröffnet worden.

Das also ist unsere so friedliche Europäische Union. Diese Legende der friedlichen Union, die immer noch als Alternative zu den hochgerüsteten Vereinigten Staaten propagiert wird, sollte endgültig in das zusammen fallen, was es ist:  Eine Lüge, die mit der Realität nichts zu tun hat.

Jetzt ist aber dieser Tisch der G20 nicht nur ein Block von Militaristen, die eine Sprache sprechen. Er ist auch ein Apparat von Konkurrenz und diese Konkurrenz drückt sich unter anderem in der Konfrontationspolitik der meisten Staaten von G20, vor allem in Europa, plus der USA, plus Kanada, gegenüber Russland und China aus. Das Vorrücken der NATO an die Westgrenze Russlands ist Konfrontationspolitik, die an den nächsten zwei Tagen unter dem Deckmantel der gemeinsamen Interessen nicht genannt wird, dafür aber umso stärker fortschreitet.

Eine weitere amerikanische Brigade kommt nach Polen und ich hätte nie gedacht, dass deutsche Truppen je wieder 250 Kilometer von St-Petersburg entfernt stationiert sind. Das ist angesichts der deutsch-russischen/sowjetischen Geschichte eine Schande. Haben wir die 27 Millionen tote Bürger der Sowjetunion im faschistischen Aggressionskrieg vergessen?

Diese Konfrontation wird von einer ganzen Reihe dieser G20-Staaten auch gegenüber China ausgeübt.

Das heißt, die militaristische Zusammenarbeit  dieser Länder ist einerseits eine Rüstungsentwicklung, die von allen als Dynamik vorangetrieben wird und andrerseits auch eine militärische Konkurrenz. In dieser Konkurrenz liegt eine riesige Gefahr für den gesamten Weltfrieden, da sie zurzeit durch eine ungeheure Aufrüstungswelle in allen Teil dieser Erde und durch eine gigantische  Anschaffung neuer, perfektionierter Atomwaffen vorangetrieben wird. Deswegen ist dieses Treffen auch ein Treffen all derer, die maßgeblich für die existierende Kriegsgefahr und die Dynamik dieser Gefahr hin zu einem großen Krieg, verantwortlich sind. Keine Atomwaffen sichern Frieden. Und Abschreckung ist ein Mythos, der uns nicht den Frieden sichert.

Deswegen ist unser Protest notwendig. Und da will ich auch ein kritisches Wort zu dem Eröffnungsplenum dieses Gipfels für Solidarität sagen: Wenn in diesem Eröffnungsplenum völlig berechtig gesagt wird, dass die Kernpunkte der weltweiten Auseinandersetzung Demokratie, Ökonomie und Ökologie sind und wir unsere Alternativen dazu formulieren  müssen, fehlt dort als vierter Punkt der Frieden.

Ohne Frieden ist das alles nichts und ohne Frieden werden wir all die anderen Ziele nie erreichen. Oder glaubt denn irgendjemand, dass mit einem militärischen Budget, das dann weit über 2 Billionen Dollar hinausgeht, die Sustainable Development Goals finanziert und realisiert werden können? Glaubt denn jemand, dass unter dem Einfluss einer weltpolitischen Konfrontationssituation das Klima-Abkommen von Paris auch nur in Ansätzen  Realität werden kann?

Dazu  brauchen wir eine weltweite Kooperation in legitimierten  Gremien und nicht im Zusammenschluss derer, die sich selbst zu den 20 wichtigsten Länder dieser Erde ernannt haben und sich dabei auf ihr Bruttosozialprodukt beziehen, dessen statistische Erhebung in Frage zu stellen ist und noch nicht einmal stimmt.

Als legitimierte Alternative haben die Vereinten Nationen eine entscheidende Rolle. Verhandlungen müssen im Rahmen der Organisationen geführt werden,  die legitimiert dazu sind. Das ist das vor allem die UN. Das Klima-Abkommen von Paris und die Verhandlungen über ein Verbot von Atomwaffen zeigen, dass eine Kooperation möglich ist, die zu Ergebnissen führt, die alle Staaten dieser Erde gleichberechtigt berücksichtigen und nicht nur die, die sich selbst zu den wichtigsten 20 Ländern dieser Erde ernannt haben. Letzteres ist undemokratisch, kolonialistisch und nicht mehr mit der Weltordnung des 21. Jahrhunderts vereinbar.

Wir können allerdings auch von Europa lernen und das heißt zu überlegen, ob die Politik von Willy Brandt und Olof Palme – eine Politik der gemeinsamen Sicherheit, d.h. die Akzeptanz der Sicherheitsinteressen des anderen als genauso berechtigt wie meine eignen – nicht eine Politik ist, die in vielen Teilen dieser Erde, vor allem an den Orten der aktuellen Konflikte, die Grundlage sein sollte. Vielleicht kann ja langfristig sogar eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten den Friedenprozess in dieser brandgefährlichen Region fördern.

Damit Frieden und Abrüstung Realität werden, müssen wir wiederstärker und mehr öffentlich demonstrieren, müssen wir Umwelt-, Ökologie- und globalisierungskritische Bewegungen, Gewerkschaften und alle die, die für Veränderung einstehen,  zusammenführen.

Der Artikel erschien erstmals auf der Website www.friedensdemo.org